Selbst Gemüse fermentieren oder kaufen? In jedem Fall ein Gewinn

Milchsäuregärung von Gemüse: Das ist im wesentlichen mit Gemüse fermentieren gemeint. Diese uralte Technik, frische Rohkost haltbar zu machen, war bei uns einige Jahrzehnte vergessen. In Zeiten wachsenden Wissens über Mikrobiota findet sie jedoch zu Recht wieder großes Interesse. Denn, Sie vermuten es schon, echtes Fermentgemüse ist probiotisch. Und außerdem verblüffend einfach und sicher selbst herzustellen.

Um was handelt es sich beim Gemüse-Fermentieren eigentlich?

Menschen überall auf dem Globus machten vor Jahrtausenden schon folgende Beobachtungen: Wenn sie Gemüsepflanzen mit Kochsalz in Kontakt bringen, sie zusätzlich zerkleinern oder stampfen und schließlich luftdicht eingeschlossen bei gemäßigten Temperaturen verwahren, beginnt es zu gären. Die Nahrungspflanzen in der Salzlake verderben nicht, sie ändern zwar Geschmack und Konsistenz, werden aber bekömmlicher und sind zu jeder Jahreszeit verfügbar. Gerade in Asien wird das Fermentieren von Gemüse ausgiebig und teils aufwendig kultiviert: Kimchi, Tofu und Taipeh sind nur die bekanntesten Vertreter. In Europa sind neben Sauerkraut auch (nicht in Essig eingekochte) saure Gurken und Salzbohnen noch vielen geläufig.

Die Milchsäurebakterien-Zucht: Unerwünschte Mikroben geben einfach auf

Biologisch gesehen, leben Milchsäure- und andere Bakterien, Hefen, Schimmel- und weitere Pilze chemotroph: Sie beziehen ihre chemische Energie aus Bio-Molekülen, dabei verstoffwechseln sie hauptsächlich Kohlenhydrate. Auf jeder unbehandelten Pflanzenoberfläche warten heimische Mikroorganismen („wilde Fermente“) geradezu darauf, die Weißkohlblätter, Mohrrüben, Fenchelknollen oder Rote Bete zu verspeisen. Gemüsezellen geben Ihre Energiespeicher allerdings erst frei, wenn sie verletzt werden, sterben oder etwa Salz ihnen den Zellsaft entzieht. Dann erst können die Fermente ans Werk gehen, ihre Futterpflanzen vergären und sich vermehren. Viele davon benötigen Sauerstoff (aerob) – Schimmel, einige vertragen Kochsalz nicht – Hefen, andere saures Milieu – Clostridium botulinum, und es gibt unterschiedliche Temperaturvorlieben. So kommt es dazu, dass sich schnell bestimmte Arten durchsetzen, andere absterben. Genau die oben beschriebenen Konditionen sind ideal dafür, ganz gezielt Milchsäurebakterien heranzuzüchten. Sie sind salz- und säuretolerant, brauchen keinen Sauerstoff und lieben Zucker.

Was fermentiertes Gemüse (aus)macht

Lebende Milchsäurebakterien sind als probiotisch bekannt: Sie können sich im Darm ansiedeln und sorgen auch über eine Ansäuerung des Darmmilieus dafür, dass pathogene (krankmachende) Keime zurückgedrängt und weitere nützliche Mikroorganismen gefördert werden. Ihre antibiotisch wirksamen Bakteriocine und andere Stoffwechselprodukte halten schädliche Konkurrenten in Schach. Vielfalt in der intestinalen Mikrobiota wird insgesamt mit einem starkem Immunsystem assoziiert.

Zusätzlich leistet eine gut gepflegte Darmflora Unterstützung bei unserer Verdauung. Verschiedenste Milchsäurebakterien verstoffwechseln Kohlenhydrate und einige Ballaststoffe zu Milchsäure und anderen Carbonsäuren: die kurzkettigen Fettsäuren Essigsäure (Acetat), Buttersäure (Butyrat) und Propionsäure (Propionat) beispielsweise. Diese drei sind leicht verfügbare Energielieferanten für Darmschleimhaut, Muskulatur, Leber und das Gehirn. Niedriger pH-Wert (saures Milieu) und die genannten Fettsäuren fördern und nähren entzündungshemmende Immunzellen des Darmepithels. Propionat hilft der Leber beim „Cholesterinmanagement“.

Auch bestimmte Präbiotika, die sogenannten FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole, also verschiedene Zucker und Zuckeralkohole) entschärfen sie durch enzymatischen Abbau. Bei milchsauer Vergorenem ist ein Großteil davon bereits im Gärtopf geschehen und damit vorverdaut – gut, wenn Magen oder Darm diese Substanzen besser meiden sollen. Das Gemüse wird grundsätzlich aber nicht nur verträglicher und mürber, sondern auch kalorienärmer: lowcarb gewissermaßen.

Weiterhin reduzieren die Lactobacillales erwiesenermaßen einige toxische Stoffe oder solche, die Verdauung und Darmfunktion herausfordern können: wie die Senfölglycoside der Rettiche, Kohlsorten und Kressen. Oder den Komplexbildner Phytinsäure (Phytat) aus Hülsenfrüchten. Phytat bindet lebenswichtige Mineralstoffe und Spurenelemente (Zink, Magnesium, Eisen) und hindert unseren Dünndarm daran, diese zu resorbieren. Auch Hemmstoffe proteinspaltender Enzyme (Proteaseinhibitoren) sowie ein Teil der giftigen Lektine (Phasin, Phaseolamin) von Hülsenfrüchten schwinden. Milchsäurebakterien helfen also, Pflanzliches besser zu verwerten. An Vitaminen und Enzymen gewinnt das Rohgemüse sogar. So stellt Sauerkraut eine reiche und vegane Vitamin-B12-Quelle dar.

Und nicht zu vergessen: All die bakteriellen Stoffwechselprodukte, Um- und Abbauprozesse prägen das Aroma. Dabei birgt die wilde Fermentation mit den natürlich vorkommenden Mikroben einiges an Überraschungspotenzial, denn jedes Mini-Ökosystem im Klein-Fermenter bringt einen eigenen Geschmack hervor. Wenn Sie lieber auf Wiedererkennbares bauen, können Sie Ihr zuvor gut gereinigtes Fermentiergut auch mit definierten Starterkulturen impfen oder einfach Darmflora-Präparate austesten.

Wer auf Histamin empfindlich reagiert, sollte allerdings auch mit fermentiertem Gemüse vorsichtig sein. Das gilt weniger für kurz vergorenes Kimchi. Bei lange gereiften Gärprodukten besteht jedoch eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die fleißigen Bakterien die Aminosäure Histidin zu problematischen Mengen an Histamin umgesetzt haben.

Welches Gemüse lässt sich fermentieren?

Fast alles an Gemüse jeder Farbe, Größe und Konsistenz kann milchsauer vergoren werden. Kohlköpfe, Kürbis, Möhren, Rüben, Topinambur, Röschen von Rosenkohl oder Brokkoli, Tomaten, Paprika, Chili und vieles mehr.
Einzige wichtige Einschränkung: Gemüse, das in rohem Zustand nicht essbar, weil giftig ist, wird dies auch nach dem Fermentieren noch sein: rohe Kartoffeln, Auberginen und Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen (auch grüne!) oder Sojabohnen. Sie haben hier zwei Möglichkeiten zur Wahl: roh vergären und vor dem Verzehr erhitzen – die Garzeiten sind erheblich kürzer als gewohnt oder zuerst gar kochen und anschließend mithilfe einer Impfaktion fermentieren – die einzige probiotische Variante.

Selbstgemacht! Oder doch Kaufen? Kurz-Tipps

Rezepte und Anleitungen gibt es zuhauf in Büchern und auf Webseiten.
Prinzipiell lässt sich alles auf zwei Grundrezepte reduzieren, die sich nur in der Vorbehandlung unterscheiden: Fein zerkleinert, eventuell auch gestampft und mit Salz im eigenen Saft oder im Ganzen oder in groben Stücken in Salzlake fermentiert.
Das Fermentieren geschieht ganz von selbst und dauert etwa 3 bis 4 Wochen bis zum besten Probiota-Geschmacks-Verhältnis.

Sauerkraut aus Dose, Glas oder Plastikbeutel ist pasteurisiert und damit nicht mehr probiotisch. Fermentiertes mit lebenden Kulturen erhalten Sie auf Wochenmärkten, in Bio-Läden oder Reformhäusern, in gut sortierten Supermärkten und oftmals von regionalen Direktvermarktern vom Gemüse-Bauernhof. Auch übers Web vertreiben einige Manufakturen fermentiertes Gemüse. Recherchieren und fragen Sie gezielt danach. Und achten Sie auf die Zutatenliste: Puristen verwenden außer Gemüse und Salz allenfalls noch Wasser und/oder Gewürze.


Teilen Sie diesen Artikel:

Zurück zur Übersicht