In der Darmflora, auch als intestinales Mikrobiom oder Mikrobiota bezeichnet, spielen Bakterien die Hauptrolle. Gegen bakterielle Infektionen wiederum werden seit rund achtzig Jahren potente Antibiotika eingesetzt. Sie sollen unser Immunsystem unterstützen und der Vermehrung krankmachender Bakterien im Körper Einhalt gebieten (bakteriostatisch), sie bestenfalls abtöten (bakterizid). Sie stören jedoch empfindlich das ausgewogene Gleichgewicht des Mikrobioms. Wie das geschieht und was dagegen hilft, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Antibiotika mit breitem Wirkspektrum – wahllos schießende Kanonen

Mittlerweile steht Ärzten eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Antibiotika zur Verfügung. Manche davon eliminieren gleich ein ganzes Arsenal verschiedener Bakterienarten. Ein solches Breitband- oder Breitspektrum-Antibiotikum setzt viele der häufigsten und gängigsten Erreger außer Gefecht. Beeindruckend gründlich geht es dabei vor, ganz gleich, wo sich die Keime befinden. Das ist vordergründig sehr praktisch, wenn der genaue Verursacher oder der Sitz des Infektionsherdes nicht identifiziert sind. Es hat aber auch Schattenseiten. Gerade Breitspektrum-Antibiotika, gehäuft und über längere Zeit eingenommen, stehen im Zusammenhang mit später auftretenden chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und womöglich noch weit mehr. Die Forschungsaktivitäten dazu sind sehr intensiv.

Es ist vergleichbar mit dem sprichwörtlichen Kanonenschuss auf Spatzen, Kollateralschäden inklusive. Denn ein Antibiotikum unterscheidet nicht, ob es sich um Schädlinge, harmlose Mitbewohner oder symbiontische Darmhelfer handelt. Die Antiinfektiva nehmen wir in den meisten Fällen über den Mund ein, vom Dünndarm aus gelangen sie ins Blut (Resorption). Einige scheiden wir größtenteils über den Stuhl unverändert wieder aus, Ciprofloxacin beispielsweise. Schlecht resorbierbare antibiotische Substanzen verbleiben sogar überwiegend im Darmkanal. So liegt nahe: Unsere Bakterien im Dünn- und vor allem im Dickdarm kommen nicht ungeschoren davon. Im Fall einer Darminfektion mag dies das Therapieziel sein, aber sonst?

Besonders häufig fallen Wirkstoffe wie Clindamycin, Erythromycin oder Cephalosporine (beginnen mit Cef…) durch Magen-Darm-Beschwerden negativ auf. Doch auch andere Breitspektrum-Vertreter können unerwünschte Wirkungen auf den Verdauungstrakt haben: Fluorchinolone (...floxacine) oder Penicilline (Amoxycillin weniger als Ampicillin) und weitere. Mit Häufigkeiten bis 30 Prozent stehen Durchfall (Diarrhoe) und Darmbeschwerden in der Nebenwirkungsliste jedenfalls gleich auf den Plätzen nach Allergien. Der Hauptgrund: Das wohlgeordnete Ökosystem der Darm-Mikroben gerät durcheinander1.

 

Einige Nebenwirkungen von Antibiotika

  • Magen-Darm-Beschwerden (z. B. Durchfall, Bauchschmerzen und Übelkeit)
  • allergische Reaktionen ( z. B. der Haut wie etwa Rötungen und Juckreiz)
  • Pilzerkrankungen (z. B. Scheidenpilz-Infektionen)
  • Entzündungen der Mundschleimhaut
  • Allergien (z. B. bei Penicillin)

Wie Darmbakterien auf Antibiotika reagieren

Auf jeder gesunden Darm-Schleimhaut entfalten Milchsäurebildner ein schützendes Barrierenetz. Diese als rein menschenfreundlich bekannten Laktobazillen und Bifidobakterien dominieren und halten andere Bakterien-Arten in Schach. Sie fermentieren Kohlenhydrate (Ballaststoffe, Fasern), stellen ein saures Milieu sicher, produzieren kolonienstabilisierende Fettsäuren und sogar Antibiotika (Bakteriocine) gegen weniger wohlwollende Konkurrenten. Unter Antibiotikagabe leiden sie jedoch in unterschiedlichem Grad und müssen ihre Plätze nach und nach aufgeben. 

Andere widerständigere Bakteriengattungen mutieren unter den für sie nun günstigeren Bedingungen von Nützlingen zu Krankheitserregern: Streptokokken, Enterokokken, Bacteroides, Enterobakterien wie Escherichia, und auch Staphylokokken und Clostridien zählen dazu. Massenvermehrungen von Staphylococcus aureus oder Clostridium difficile lösen nicht selten eine antibiotika-assoziierte Diarrhoe (AAD) aus, die sich zu einer schwerwiegenden pseudomembranösen Colitis (antibiotika-assoziierte Dickdarmentzündung) entwickeln kann. Vor allem Kinder und Senioren sind gefährdet: Kinder bauen während ihrer ersten drei Lebensjahre ihr Darm-Immunsystem erst auf, im Alter wiederum lassen Robustheit und Artenvielfalt der Darmflora wieder nach. 

Unter Antibiose können aber auch normalerweise in geringer Dichte gehaltene pathogene Arten (Pseudomonas, Vibrionen, Campylobacter) die Oberhand gewinnen und Schaden anrichten: mit Enterotoxinen, also Darmgiften, oder indem sie die Darm-Epithelzellen und andere Gewebe infizieren.  Und sogar darmfremde Neuankömmlinge lassen sich nieder, teils dauerhaft. 
 

Die Wiederherstellung des Darm-Mikrobioms – mühevoll

Ja, die Darmflora erholt sich, nachdem das Antibiotikum abgesetzt ist. Allerdings wesentlich langsamer, als jahrelang angenommen2. Bestenfalls 30 Tage, häufiger ein viertel Jahr bis zu mehrere Jahre kann die Regeneration andauern. In dieser Zeit sind noch Ausbrüche der Wankelmütigen als Schädlinge möglich. Von der nachhaltigen „Förderung“ gefährlicher antibiotikaresistenter Keime gar nicht zu reden. Einige zuvor beheimatete Arten des Darm-Mikrobioms kehren überhaupt nicht zurück 3, 4. Die ursprüngliche Vielfalt, Kennzeichen für resiliente Ökosysteme, ist für länger dahin – wie auch die Gesamtzahl der Darmbakterien. Zu beobachten sind Veränderungen der Stoffwechselaktivität insgesamt1. Auch Pilze (Hefen) als Mitbewohner und Teil der Darm-Mikrobiota sind in Mitleidenschaft gezogen, sie brauchen sogar noch länger5.

Probiotika & Präbiotika: unterstützende Darm-Reha

Nachhelfen lässt sich mit der gezielten Zufuhr gesunder Bakterien oder Hefen und deren bevorzugter Nahrung. Probiotische Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel enthalten meist Arten von Lactobacillus, Bifidobacterium und/oder gute Hefen wie Saccharomyces boulardii. Diese heften sich als geschlossene Gruppen an Darmrezeptoren, konkurrieren mit den verbliebenen Bakterien der gestörten Darmflora um die gleichen Nährstoffe – und setzen sich mit Hilfe einiger erstaunlicher Mechanismen schnell wieder durch.

Bewährte probiotische Lebensmittel sind fermentierte Produkte mit lebenden Kulturen, also keinesfalls nachträglich pasteurisiert (!):
- Milchprodukte wie Joghurt, Kefir, Sauer- oder Buttermilch;
- Sauerkraut, Kimchi, sonstiges Ferment-Gemüse;

Als fördernde Präbiotika eignet sich eine ballaststoffreiche Ernährung:
- Vollkorn, Haferflocken;
- Lein-, Chia- oder Flohsamen;
- Fruktane in Zwiebeln, Knoblauch und Porree;
- vorgekochte, kalte Kartoffeln oder Reis (resistente Stärke);
- Pektinreiches wie Äpfel, Hagebutten, Citrus-Schalen und Möhren;
- inulinhaltiges Gemüse: Topinambur, Artischocke, Pastinake, Chicorée oder Schwarzwurzel;
- Akazienfaser.

Besser vorbeugen als nachbessern – Probiotika parallel zur Antibiotika-Einnahme

Der Entgleisung Ihrer Darmflora bei einer notwendigen Antibiotikatherapie können Sie sogar wirksam vorbeugen. Eine ganze Reihe klinischer, plazebokontrollierter Studien im Zusammenhang mit Durchfällen nach Antibiotika hat gezeigt, dass Probiotika das Risiko um durchschnittlich 60 Prozent reduzieren können6. Den stärksten Schutzeffekt erzielen Sie, wenn Sie gleich zu Beginn der Antibiotikabehandlung schon probiotisch aktiv werden: spätestens ab dem zweiten Tag. Mit jedem Tag später steigt das Durchfallrisiko wieder an7.
Und letztlich sollte Ihre Ernährung grundsätzlich und regelmäßig pro- und präbiotische Anteile enthalten, die zur „Pflege“ des wertvollen inneren Ökosystems beitragen. Auch dafür eignen sich Probiotika hervorragend.

Quellen:

1 Ramirez, J., Guarner, F., Bustos Fernandez, L., Maruy, A., Sdepanian, V. L., & Cohen, H. (2020). Antibiotics as Major Disruptors of Gut Microbiota. Frontiers in cellular and infection microbiology, 10, 572912. doi.org/10.3389/fcimb.2020.572912

2 Hubert, M. Antibiotika verändern langfristig das Mikrobiom. CME 15, 38 (2018). link.springer.com/article/10.1007/s11298-018-6489-4.

3 www.aerztezeitung.de/Medizin/Antibiotika-veraendern-Darmflora-232240.html

4www.internisten-im-netz.de/aktuelle-meldungen/aktuell/wie-sich-die-darmflora-nach-antibiotika-einnahme-erholt.html

5 Seelbinder, B., Chen, J., Brunke, S. et al. Antibiotics create a shift from mutualism to competition in human gut communities with a longer-lasting impact on fungi than bacteria. Microbiome 8, 133 (2020). doi.org/10.1186/s40168-020-00899-6

6 Goldenberg, J. Z., Yap, C., Lytvyn, L., Lo, C. K., Beardsley, J., Mertz, D., & Johnston, B. C. (2017). Probiotics for the prevention of Clostridium difficile-associated diarrhea in adults and children. The Cochrane database of systematic reviews, 12(12), CD006095. doi.org/10.1002/14651858.CD006095.pub4

7 Shen, N. T., Maw, A., Tmanova, L. L., Pino, A., Ancy, K., Crawford, C. V., Simon, M. S., & Evans, A. T. (2017). Timely Use of Probiotics in Hospitalized Adults Prevents Clostridium difficile Infection: A Systematic Review With Meta-Regression Analysis. Gastroenterology, 152(8), 1889–1900.e9. doi.org/10.1053/j.gastro.2017.02.003


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